Moralische Geschichten (German Edition) by Biller Maxim

Moralische Geschichten (German Edition) by Biller Maxim

Autor:Biller, Maxim [Biller, Maxim]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462305869
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2014-08-18T16:00:00+00:00


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Der Papst

Jetzt haben sie es tatsächlich geschafft, jetzt haben sie mich genauso herumgekriegt wie damals Jesus, dachte Gold, als er von der Kardinalsversammlung in Rom zum neuen Papst gewählt wurde. Gold war als Kind während des Kriegs von seinen Eltern in einem elsässischen Kloster versteckt worden. Dort war er – nachdem er kurz die Chancen der Juden auf eine bessere Zukunft durchkalkuliert hatte – ganz schnell zum Christentum übergetreten. Nach dem Krieg, als er wirklich sicher sein konnte, daß die deportierten Eltern nicht wiederkommen und ihm wegen seines Übertritts Szenen machen würden, begann Gold an der Universität von Metz Theologie zu studieren. Schon mit Ende dreißig – ein jüdisches Wunderkind eben – machten sie ihn zum Kardinal von Paris.

Und nun war er also Papst. Er hieß ab sofort Ariel II., er sagte in siebenundsechzig Sprachen das Urbi et orbi und wusch Pilgern die Füße, er ernannte Heilige und wetterte gegen die Abtreibung. Alles war in bester Ordnung – bis ihn eines Tages unangemeldet sein Cousin Jossi aus Mainz in Rom besuchte, um ihn zu fragen, ob er ihm nicht was leihen könnte, er wolle nämlich seine Tochter Vanessa zum Studieren nach Harvard schicken.

»Bist du meschugge, Jossileben?« entfuhr es dem Papst gegen seinen Willen auf Jiddisch, »am Ende lernt sie dort noch irgendeinen Ostküsten-Schejgez kennen und heiratet ihn. Ein Goj in der Familie genügt!«

Kaum hatte er das gesagt, erschrak Ariel II. über sich selbst. Sein Schrecken wurde noch größer, als unter Donnerhall ein blauer Blitz in seine Tiara fuhr und er die metallische Stimme Gottes sagen hörte: »Du ein Goj, Gold? Daß ich nicht lache! Du bist doch nur ein kleiner jüdischer Bastard!«

Aber der Papst faßte sich schnell. Mit gerecktem Kinn und gehobenem Zeigefinger rief er nach oben: »Du etwa nicht? Du nicht?!«



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